DER NUSSKNACKER – ein wirklich besonderer Wachtraum

DER NUSSKNACKER Szenenfoto

DER NUSSKNACKER – ein wirklich besonderer Wachtraum

Premiere am 12. November 2022

Ballett-Feerie von Giorgio Madia
zur Musik von Pjotr I. Tschaikowski „Der Nussknacker“ op. 71
nach E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Nussknacker und Mausekönig“
Choreografische Uraufführung
Choreografie, Inszenierung, Licht & Libretto GIORGIO MADIA
Bühne & Kostüme DOMENICO FRANCHI Dramaturgie CORINNA JAROSCH

„Tradition!“ – sangen wir laut: „Tradition!“ – und tanzten dazu ganz traditionell im Kreis.
2012 war das, „Anatevka“ – Regie und Choreographie: Giorgio Madia.
Mit viel Wert auf Details hatte Giorgio uns Chören ungewohnte Bewegungen beigebracht und für einige Turbulenz auf der Bühne gesorgt. Das Visuelle ist ihm wichtig, und es darf auch ruhig mit einem Augenzwinkern sein.
Genau in diesem Sinne hat Giorgio Madia nunmehr den NUSSKNACKER entstaubt.
Da blieb nicht viel von der Tradition üblicher Inszenierungen.
Ich erinnere mich noch gut an einen riesigen Weihnachtsbaum auf der Bühne und bunte Päckchen drumherum – um die Figuren tanzen, die halt aussehen, wie der Nussknacker, den die meisten als Holzfigur zu Hause haben oder wie süße Ballerina-Barbies.
War das vor 20 Jahren in Cottbus? Mag sein. Denn ungefähr so lange ist es her, dass das Ballett bei uns zu sehen war.
2022 nennt Madia seine Art der Aufführung „Ballett-Feerie“: Achtung, Bildungslücke, „Feerie“ – klingt feen- und märchenhaft – ist es auch: „Feenmärchen“ erklärt Wikipedia, mit großem Aufwand bei Bühnenbild, Kostümen und Bühnentechnik.
Bühne und Kostüme in Cottbus stammen von Domenico Franchi, einem Star in seinem Metier; Italiener, wie Madia und diesem in mehreren Arbeiten eng verbunden.
Und an Licht und Bühne schieden sich denn auch die Meinungen der Premierengäste – mit einer klaren Linie entlang … der Tradition.
Keine Weihnachtsstimmung, weder Baum noch Familienidylle – diesmal ist alles Altrosa, Grau und Türkis, gruseln sich die zahlreich anwesenden Kinder sogar kurz vor Nussknacker und Mäusekönigin und erinnert mich Herr Drosselmeier ständig an Benedict Cumberbatch. Drosselmeier, bei Tschaikowski ein lieber Onkel, der den Kindern mechanische Puppen schenkt, wird bei Madia zum eher dämonischen Magier und zur bestimmenden Person des Abends (Alyosa Forlini).
Ich liebe diese andere Sichtweise!
Schafft sie doch Raum für das Tanzen, bildet sie erst die Szenerie, in der nicht nur Claras Traum als solcher erscheint, sondern die gesamte Aufführung ins Surreale geht. Kann überhaupt erst auf diese Weise eine wortwörtlich bewegende Magie entstehen, die wie ein Wachtraum scheint, bei der Zeiten und Orte verschwimmen und offen bleiben darf, was am Morgen Teil der Wirklichkeit geworden ist.
Auf bemerkenswerte Weise gelingt es so, dass einigen, durch inflationären Gebrauch leider teils abgegriffenen Melodien, wieder eine ganz eigene, ursprüngliche Wirkung gegeben wird.
An Stelle von Zuckerfee oder Schneekönigin zaubern die Hauptfiguren selbst und bildet alles im schnellen Fluss eine besondere (A-)Symmetrie aus Choreographie, bewegter Bühne, Kostümen, Licht und Musik. Diese übrigens als klanglich gut erhaltene Konserve, eine Einspielung von 1972 (!) des London Symphony Orchestras.
Und so kommt es, dass gleich zu Beginn das Familientreffen an der langen Tafel zu einem Sitz-Ballett der besonderen Art wird, dass oft eher modern, als klassisch getanzt wird, einiges ganz klar in den Bereich der Parodie gehört und anderes zur Pantomime.
Dass jedoch auch Liebhaber des Spitzentanzes auf ihre Kosten kommen, wenn gleich acht(!) Tänzerinnen mit ihren Holzschuhen über die Bühne stöckeln.
Apropos acht Tänzerinnen. Die Cottbuser Ballett-Compagnie zählt eigentlich nur sieben feste Mitglieder. Doch Ballettdirektor Dirk Neumann gelingt es, mit viel Können bei Förderungen und Gastengagements, dem Cottbuser Publikum nun 18 Tänzerinnen und Tänzer zu präsentieren. Erneut wird deutlich, dass unser Tanztheater als Markenkern des ganzen Hauses gelten darf.
Die Premierengäste bedanken sich bei allen Mitwirkenden mit selten gehörtem Jubel und langem, freudigen Applaus.

Diese Feerie ist eine sehr dynamische Neuinterpretation mit einer Idee, die E.T.A. Hoffmann näher ist, als Tschaikowski und die zwei Stunden sehr schnell und unterhaltsam vergehen lässt – und den Gästen Eindrücke mitgibt, die nachwirken, anregen und zum Weitersagen einladen.
Was hiermit geschehen ist!
Besuchen Sie dieses besondere Stück, nehmen Sie Kinder und Großeltern mit. Ab sechs Jahren ist das kein Problem.

Ab 20. November, 11 Uhr, ist die Inszenierung in diesem Jahr noch zwölfmal zu sehen!

Text: Jens Pittasch

LINK DIREKT ZUM THEATER – MIT BESTELLMÖGLICHKEIT

Fotos: Yan Revazov

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