Eine Produktion des Piccolo Jugendklubs sehr frei nach den Motiven des Romans von Mary Shelley für ein junges Publikum ab 14 Jahren
Spielleitung: Matthias Heine
Premiere am 22. Juli 2023
Am Anfang steht – recht ungewohnt – eine kurze Einführung des Piccolo-Jugendklub-Spielleiters Matthias Heine.
Über die Erweiterung des Stoffes durch die Jugendlichen selbst spricht er.
Und über die Beachtung, die die Darstellerinnen und Darsteller der Autorin gegeben haben: Mary Shelley, selbst erst 19, als sie begann Frankenstein zu schreiben.
1816 war das, in einem „Jahr ohne Sommer“. In Indonesien war 1815 der Vulkan Tambora ausgebrochen, mit fatalen Folgen für das weltweite Klima. In Europa starben Nutztiere, fielen Ernten aus, Napoleon verlor im Schlamm die Schlacht von Waterloo – Endzeitstimmung machte sich breit.
Mary Godwin (spätere Shelley) war am Genfer See zu Gast bei Lord Byron, einem britischen Dichter und Dandy. Mit dabei der Dichter Percy Bysshe Shelley (ihr späterer Mann), ihre Stiefschwester Claire Clairmont und John Polidori, Schriftsteller, Byrons Partner und Leibarzt.
Die Upperclass-Gesellschaft war vom weltweiten Elend nicht betroffen, vom schlechten Wetter mit trüben, nassen Tagen abgesehen. Das mag sie veranlasst haben, gemeinsam Schauergeschichten zu schreiben und sich gegenseitig vorzutragen.
Es war zugleich eine Zeit, in der die sogenannten Galvinisten die Wirkung des elektrischen Stroms auf Muskeln untersuchten. Nun ja – „untersuchten“ trifft es nicht ganz. Von Experimenten mit Froschschenkeln gingen sie dazu über, Strom an den Körper eines hingerichteten Mörders zu legen. Der schien daraufhin zum Leben zu erwecken, einer der Zuschauer erschrak derart, dass er verstarb.
Wer Frankenstein kennt, sieht hier den Plot zur Geschichte.
Dass weiterführende Motive, etwa gesellschaftskritische, eine größere Rolle gespielt haben, lässt sich nicht ableiten.
Hineindeutet wurde im Verlauf der Zeit eine Menge. Von Gesellschaftskritik über Spiritualität bis Feminismus.
Die Piccolo-Erarbeitung legt eigene Schwerpunkte unter der Überschrift: „Wenn ich Mary Shelley wäre…“ – aus Sicht der heutigen Mitwirkenden des Jugendklubs und ihrer heutigen Situation.
Das Monster erhält verschiedene Gestalt. Wer sind jeweils die Schöpfer dieser Monster? Wo liegen ihre Ursprünge? Was sehen wir als Monster? Verselbstständigen sich gute Absichten und schaffen selbst Monster? Sind Monster erforderlich, um Monster zu bekämpfen?
„Die Geister, die ich rief…“ – lassen grüßen, wie wird man sie wieder los? Oder sind sie dabei, uns loszuwerden – ein Schwenk zur KI wird eingebaut.
Die Jugendlichen fragen: Wie findet sich das Persönliche, das scheinbar zu Kleine, noch im Umfeld der Welt an sich – und konkret in ihrer Welt der multiplen Krisen. Was tun, angesichts der Geister, die heraufbeschworen wurden und die man teils ausgestorben glaubte? Sie wollen: „Ich bleiben – und sein dürfen“, doch wie?
Um dies alles zu zeigen, findet die Theatergruppe starke Ausdrucksformen und überzeugt mit darstellerisch sehr hohem Niveau. Dabei stoppt das Spiel gelegentlich und hinterfragt sich das Team selbst.
Betonung findet das Geschehen in etwas Licht in Würfeln, weißen Kitteln, Nebel, einem leuchtend, fragmentierten Monster – und in bemerkenswert gewählter und produzierter Musik.
Jens Pittasch
P.S.:
Übrigens, was meint das Monster KI zum Thema?
Eine Antwort verlinke ich hier.
Sie zeigt deutlich, in welch hohem Maße erst die Nachwelt dem eigentlichen Stück-zum-Zeitvertreib zu seinen weitreichenden Deutungen verholfen hat. Es ist nicht falsch, solche Verbindungen und Vergleiche zu ziehen – nur haben sie mit der Absicht der Autorin wohl wenig zu tun. Mary Shellys Monster hat sich verselbstständigt.
Besetzung:
Anne Fiedler, Courtney Bischoff, Norah Scharnholz, Bianca Ehrecke, Ben Hoffmann, Laurenz Lorenz, Florian Jähne, Maja Kuschnir und Hermine Jähne
Informationen (Link)
Fotos: Michael Helbig