DAS KRAFTWERK – EIN THEATERABEND ÜBER KOHLE, WASSER UND DIE EWIGKEIT
Ein Recherche-Stück von Calle Fuhr in Kooperation mit CORRECTIV
Uraufführung || Premiere am Samstag, 23. September 2023, 19.30 Uhr, Kammerbühne
„Das wird Folgen haben…“, ein Verantwortlicher der Stadtverwaltung sprach es und verließ, sichtlich mitgenommen, die Kammerbühne.
Kurz zuvor: Stehender, nahezu tosender Applaus im Saal – viele jubelnde, dazwischen einige fassungslose Mienen.
Miterlebt hatten wir soeben nicht nur die Erfindung eines (nicht nur für Cottbus) neuen Theaterformates, sondern großartiges Schauspiel und heftige Wahrheiten.
Angekündigt als ein Recherche-Stück über Kohle, Wasser und die Ewigkeit, in dem sich das Schauspiel intensiv mit den Themen der Energieversorgung der Zukunft, Wasserknappheit und Strukturwandel beschäftigt – entspann sich ein Bühnenkrimi aus bitteren Tatsachen, eingebettet in eine Rahmenhandlung (Calle Fuhr), die erfreulich mehr war als dramaturgisches Beiwerk.
Auf der Kohlestaub-Bühne mit schimmernden Bruchsteinen, darüber ein riesiger Windmühlenflügel (kein Windrad!) – beginnt alles mit der Entdeckung des Feuers durch eine Horde Urmenschen. Zunächst freuen sie sich. Wird nun alles gut?
Kurz darauf schon kippen sie eimerweise Kohle in die Flammen, der Rauch wird dichter, und der Flügel beginnt sich zu drehen: Willkommen im Anthropozän, unserem Zeitalter.
Zeitsprung ins Heute, nach Cottbus.
Carla (Nathalie Schörken), eine junge Journalistin, hatte die Stadt eigentlich verlassen und möchte gerade nach Hamburg aufbrechen. Als Kommunikationsberaterin für die Wirtschaft, in der Presse sieht sie keine Zukunft. Dann stirbt Opa, nur kurz will sie nochmal zurück, erfährt dann von einer Erbschaft, der Hütte – und findet darin eine an sie adressierte Kiste voller Dokumente. Was soll sie damit? Sie muss zur Wohnungsbesichtigung in den Norden.
Doch noch hat Carla ihre journalistische Neugier. Und sie kennt Opa. Wenn er wollte, dass sie die Kiste findet, muss mehr dahinterstecken.
Und was ist mit Nachbarin Sonja (Susann Thiede), und wie erklären sich die Reaktionen von Julius, Sonjas Sohn (Torben Appel) und dessen Freund Navid (Gunnar Golkowski)?
Carla taucht ein in die Unterlagen. Es sind Gutachten und interne Daten der LEAG, von Behörden und Ämtern. Es sind Hintergründe und Recherchen zu Verflechtungen, Vergaben und Entscheidungen.
Erkenntnisse ergeben sich und Konflikte entstehen, nicht nur zwischen Navid, einem glühenden Verfechter einer LEAG im Wandel und dessen Chef Harrndorf (Kai Börner) – nein, heftige Risse tun sich auf, quer durch Familien, die ganze Region, die gesamte Gesellschaft.
Quasi live zur Premiere, gerade an diesem Samstag zu besichtigen in Form einer Demonstration „der Unzufriedenen“. Gegen Heizungsgesetz, gegen Inflation, gegen Einwanderung, gegen Wirtschaftszerstörung und Energiekosten sollen die „Bürger für Bürgerrechte“ auf die Straße gehen. Trommelnd ziehen sie durch die Stadt, plakatieren „Unser Land zuerst“, „Ami go home“, „Souveränität & Reformation“, „Das deutsche Land, einst stolz und schön, will heute keine Sau mehr sehen.“, und: „Wer Grün wählt, wählt den Krieg“.
„Die da unten“ fühlen sich von „denen da oben“ unterdrückt, belogen, missachtet und ausgenutzt, sie haben die Nase voll und werden laut.
Ist das so?
Und gibt ihnen womöglich Recht, was nun auf der Bühne enthüllt wird?
Das Stück verlässt die Fiktion und packt die Fakten in den Kohlestaub.
Es steht nicht irgendwo im Vorspann, dass die Handlung erfunden und alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und realen Handlungen rein zufällig sind – im Gegenteil.
Geschützt durch Kunst- und Pressefreiheit werden Ross und Reiter genannt, wird aufgedeckt, wie ein Geflecht aus Gutachtern und Lobbyisten Erkenntnisse manipuliert, die Öffentlichkeit und Behörden täuscht und alternative Fakten propagiert.
Jetzt knallt es auf der Bühne!
Die Schauspielerinnen und Schauspieler – vorher schon außerordentlich gut – kommen richtig in Fahrt. Nun spielen sie nicht mehr nur, nun sind sie Betroffene.
Seit 33 Jahren habe ich nicht mehr eine solche Relevanz und Brisanz erlebt im Theater.
Kurzer Blick ins Publikum: Hier stockt nicht Wenigen der Atem. Viele reißen die Augen auf, doch Einige schauen zu Boden und fühlen sich äußerst unwohl.
Hier geschieht Neues. In der Spielform, in der Intensität, in der Wirkung – in jeder Hinsicht passiert Großartiges.
Zugleich beschleicht mich ein Gefühl. Kommt mir der Gedanke, dass das mutig ist.
Im Anschluss, in Gesprächen mit den Machern spreche ich es aus: Warum kommt mir eigentlich – heute, 2023 – der Gedanke, dass es Mut braucht, um dieses Stück auf die Bühne zu bringen? Sollte es nicht selbstverständlich sein, dass Kunst und Journalismus das dürfen, wenn nicht sogar müssen?
Und forderten nicht vorhin Bürger ganz Ähnliches?
Nein. Und nein.
– Tatsächlich ist es nicht (mehr) selbstverständlich, nicht einmal (mehr) ungefährlich, in dieser Form Wahrheiten aufzudecken, Tatsachen auszusprechen, Meinungen zu äußern und die Finger in Wunden zu legen. Immer mehr erinnert mich an 1933.
– Und nein. Diese Unzufriedenen auf der Straße haben weder Recht noch bestätigt das Stück ihre Bedenken. Denn gerade sie sind die (leider dankbare) Zielgruppe für Tatsachenverdreher, Verschwörungstheoretiker, Klimaleugner und rechte Ideologen. Gerade auf sie setzen Lobbyisten und die hier enthüllte Wassermafia, wenn sie im Interesse des Profits Weniger die Interessen der Mehrheit angreifen.
So sehen wir an diesem Abend ein Schauspiel von Könnern (Regie Aram Tafreshian), sind ergriffen von einem Handlungsrahmen der im Großen auch das Kleine, die betroffenen Menschen, nicht vergisst – und werden Teil eines wirklichen Ereignisses, dem eines besonders zu wünschen ist (und woran jeder Einzelne mitwirken kann):
„Das wird Folgen haben…“ !
Jens Pittasch
P.S. und Hinweis:
Fakten und Hintergründe des Stückes beruhen auf intensiven Recherchen der Journalistengruppe CORRECTIV. Zeitgleich zur Premiere erfolgte die Veröffentlichung wichtiger Ergebnisse der investigativen Arbeit. Alle in der Inszenierung genannten Aspekte sind zusätzlich im Programm-Faltblatt, inklusive Quellen-Links, belegt.
Statement des Staatstheaters vom 3. Oktober 2023!
Link zum Faltblatt!
Link zur Recherche!
weitere Vorstellungen: 30.9., 14.10., 26.10., 24.11.,20.12.,23.1.,20.2. – Kammerbühne
Fotos: © Bernd Schönberger