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HAMLET – Ein irres Rock-Vaudeville

HAMLET - Szenenfoto

HAMLET – Ein irres Rock-Vaudeville

HAMLET
Ein irres Rock-Vaudeville nach Musik der Tiger Lillies

Regie Armin Petras
Musikalische Leitung Miles Perkin

Staatstheater Cottbus, Großes Haus, Premiere am 29. März 2025, gesehen am 16. Mai

Wo sonst der schwere, rote Vorhang den Blick auf die Bühne versperrt, schauen wir bereits vor Beginn in eine Werkshalle in der Rauch wabert.
Diese Halle ist erkennbar nicht Schloss Kronborg und die Handlungszeit eher in der jüngeren Vergangenheit.

Ein Blick ins Programm klärt auf: Armin Petras (Regie) verlegt das Stück aus Dänemark ins RAW* der Wendejahre.
Das weiß man offenbar auch im bunt gemischten Publikum der gut besuchten Vorstellung.
Gleich neben mir schnappe ich auf: „Da dampft es mächtig. Na ja, wenn sie schon Krach machen, ist auch Dampf dabei.“
Weiter ergibt sich aus dem Gespräch der beiden Besucherinnen mittleren Alters, dass ein gehöriger Part DDR-/Wende-Aufarbeitung erwartet wird. Gerade holen sie Erinnerungen an ihre Lehre (offenbar im RAW) und Urlaube am Balaton hervor.

Als Vorlage seiner Zeitreise verwendet der scheidende Co-Schauspieldirektor Petras nicht primär Shakespeare, sondern – zum zweiten Mal nach „Two Penny Opera“ – ein Konzeptalbum der britischen Band „The Tiger Lillies“.

Was zu erleben sein wird, ist kein Schauspiel, sondern – laut Ankündigung, ein „irres Rock-Vaudeville“.
Nur: Was ist ein „Vaudeville“?
Wiki und KI* liefern durchaus komplexe Herleitungen – und letztere, ungefragt, gleich den Vorschlag, dem Publikum eine Stückeinführung zu geben. Es sei bitte verziehen, liebe Dramaturgie, doch diese Zuarbeit ist einfach zu verlockend, um sie nicht zu verwenden:

„Meine Damen und Herren, bevor der Vorhang für unser ‚irres Rock-Vaudeville‘ HAMLET aufgeht, ein kurzes Wort zum Begriff ‚Vaudeville‘: Stellen Sie sich darunter eine Art buntes Unterhaltungstheater vor, eine Nummernrevue mit Gesang, Tanz, Comedy, vielleicht auch Artistik – oft temporeich, überraschend und nicht immer einer strengen, linearen Geschichte folgend.
Für unseren heutigen HAMLET bedeutet das: Erwarten Sie keine klassisch-getragene Tragödie. Vielmehr wird Shakespeares Drama hier durch die Brille des Vaudeville gesehen – mit viel Rockmusik, Energie und einer spielerischen, vielleicht auch mal absurden oder überdrehten Herangehensweise an die bekannten Szenen. Es wird eine wilde Mischung, die den Geist des Vaudeville mit der Wucht von Hamlet verbindet!“

Um die Tragödie mit der Musik, die Vergangenheit mit der Gegenwart und die Unterhaltung mit Anregungen zum Nachdenken und Handeln zu verbinden, arbeitet Armin Petras eng mit dem Musiker Miles Perkin zusammen. Perkin liefert für Cottbus eigene Arrangements der Tiger-Lillie-Songs und bringt diese live auf die Bühne. Absolut faszinierend ist, wie die Schauspielerinnen und Schauspieler dabei gesanglich und instrumental ganz besondere Facetten ihres Könnens zeigen.

Gesungen wird Englisch, und da es ein Konzeptalbum zu HAMLET ist, und die jeweilige Handlung damit in Referenz steht, spielen die Texte durchaus eine Rolle.
Auch mit Englischkenntnissen beschränkt sich die Verständlichkeit des (sehr guten) Gesanges auf wenige Passagen. Das ist kein Phänomen dieser Inszenierung, sondern jedem bekannt.
Daher gibt es Übertitel – wie der Name bereits sagt, werden diese oberhalb der Bühne eingeblendet. Zumindest vom Parkett aus funktioniert das leider nicht. Man kann entweder mitlesen oder der Inszenierung zuschauen. Ich empfehle unbedingt beim Geschehen zu bleiben.

Leider ist es nicht nur schwer, dem Gesang zu folgen.
Petras nutzt im gesprochenen Wort die Shakespeare-Texte – wohl um sein Gleichnis von damals und heute, inmitten der Turbulenz des irren Rock-Vaudevilles, in Konzept und Spur zu halten. Die Idee ist klug, ins Original zu gehen, um diese Verbindung herzustellen.
Jedoch ist, trotz abgenommener Sprache (Mikroports), die Textverständlichkeit meist unzureichend.

Und so erschließt sich, ohne Kenntnis des Originals, die historische Rahmenhandlung um Mord und Rache im Staate Dänemark – die dort in einem finalen Duell im Tod fast aller Hauptfiguren, inklusive Hamlet selbst, mündet – leider kaum.
Das wäre zwar im Gesamtkontext nicht so schlimm für den gewählten Ansatz, doch Petras will ja durchaus mehr. Explizit nennt er als Anliegen, mit der alten Tragödie um Machtspiele und Wandel auf die Realität in Ostdeutschland zu reagieren.
Insofern stellt sich die Frage, ob man den historischen Shakespeare noch konsequenter – wie es auch im Programm steht – auf die Rolle einer „Inszenierungs-Folie“ konzentrieren könnte. Und auch die Texte ins Heute holt.

Jedoch sind das Detailgedanken zu einem Stück, das so, wie es nun ist, genau richtig ist.
Diese Arbeit von Petras und Perkin ist bis ins Detail durchdacht, hervorragend realisiert – und bildet mit einem tollen Ensemble ein absolut empfehlenswertes Erlebnis.

Bühne, Ausstattung und Kostüme bieten dem Ganzen zu jeder Zeit einen sehenswerten Rahmen. Einige plakative Elemente stellen sich glücklicherweise als augenzwinkernde Zitate heraus und werden nicht vertieft.

Ja, so kann und sollte man historische Stoffe ins Heute bringen!
Sehr zu empfehlen auch für Schulen und hervorragend geeignet, die gerne mal verstaubte Sichtweise von Lehrplänen durcheinander zu wirbeln.

Jens Pittasch

* RAW: Reichsbahn-Ausbesserungs-Werk; in Cottbus derzeit in Evolution zum modernsten ICE-Instandhaltungswerk der Bahn
* KI: Google AI Studio

Informationen und Karten

BESETZUNG

Fotos: Bernd Schönberger


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