Ein spartenübergreifendes Schauermärchen nach E. T. A. Hoffmann
Neukomposition von The McDaniel Brothers für das Staatstheater Cottbus
Staatstheater Cottbus, Premiere am 30. November 2024
Wow, da hat Philipp Rosendahl uns einige Register seines künstlerischen Dranges um Augen und Ohren gehauen!
Was für ein irrwitzig, irrsinnig, aufregender Abend!
Was für Ideen und Wege der Darstellung!
In mancherlei Hinsicht für Teile des Cottbuser Stammpublikums sicher schwer erträglich – was dann allerdings nur heißt, dass wir mit solchen Inszenierungen das Stammpublikum erweitern können.
An der Garderobe wird Ohropax verteilt, uups.
Der Grund zeigt sich Sekunden nach Aufführungsbeginn, vor mir wird mittels Handyapp das Hörgerät leiser gestellt.
Ganz, wie hier im über hundertjährigen Theater zum mehr als zweihundert Jahre alten Stück die Moderne das Hören steuert, befreit auch Philipp Rosendahl seine Inszenierung komplett aus der Zeit und bei dieser Gelegenheit gleich weitgehend vom Text der ursprünglichen Erzählung.
An die Stelle vieler Worte tritt eine sinnübergreifende Sinfonie des Wahnsinns.
Diese lässt sich daher mit Worten auch nicht beschreiben, sondern nur selbst erleben.
So kann ich zwar erwähnen, dass zum Stück die Musik eigens komponiert wurde, auf der Bühne live gespielt wird und bereits diese Musik eine unglaubliche Kombination klanglicher Möglichkeiten bietet.
So kann ich erwähnen, dass die (im besten Wortsinn) irre schauspielerische Leistung in den Hauptrollen mit getanzten Spiegelbildern in äußerst eindrucksvolle Dimensionen erweitert wird.
Auch kann ich berichten, wie unfassbar es wirkt, als sich ein Weinen zu einer Klagehymne und einem Klangsturm entwickelt, der selbst das enge Zuhause davonträgt.
Doch fassen lässt sich mit Worten nicht, was da als Gesamtkunstwerk neuer Art entstanden ist.
Es ist eine Herausforderung.
Wie zu erfahren auch für die Mitwirkenden hinter der Bühne, die an einigen Stellen bislang ungeahnte Ansprüche meisterhaft umgesetzt haben. Vielen Dank dafür!
Es ist eine Herausforderung, auf die man sich nicht vorbereiten kann und die einige überforderte. Eben darauf wollte E.T.A. Hoffmann wohl vor 200 Jahren bereits hinweisen: Es gibt Sorgen und Ängste, auf die man nicht vorbereitet sein und denen man nicht entkommen kann. Sie sitzen tief. Sie sind im Alltag und verdichten sich oft in den Träumen. Und wie die Träume nicht einfach aus Worten bestehen, sondern uns als tief-körperliche Realität erscheinen – ebenso gelingt es Philipp Rosendahl, dieses Empfinden als dramatisches Psychogramm auf die Bühne zu bringen.
Also: Hörgeräte leise, Herzschrittmacher rauf – oder vorher ein Glas Wein und dann darauf einlassen!
Jens Pittasch
P.S.: Bitte stellt die Musik auf einer geeigneten Plattform zur Verfügung. Es lassen sich eindrucksvolle Musikvideos anhand der Inszenierung erzeugen.
P.P.S: Und hier noch ein Hinweis der Webseite des Staatstheaters zum Stück – wie ich meine eine Empfehlung der besonderen Art …..
Altersempfehlung: 16 +
MACHER UND MITWIRKENDE
FOTOS – (c) Bernd Schönberger