JUGEND OHNE GOTT

Jugend ohne Gott - Szenenfoto

JUGEND OHNE GOTT

Ein Gesellschaftsporträt nach Ödön von Horváth
In einer Bühnenbearbeitung von Janis Knorr und Wiebke Rüter

Staatstheater Cottbus, Kammerbühne
Premiere am 24. Januar 2025


Erwartungen!? – Muss man viel dazu sagen?

Es ist schwierig mit Erwartungen. Daher lese ich eigentlich vor einem Stück weder das Programmheft noch das Pressematerial. Eigentlich. Diesmal doch.
Und saß in der Erwartungsfalle.

Das Programm-Faltblatt thematisiert in großem Umfang aktuelle, politische Gegebenheiten, setzt diese in Bezug zu AfD und NS-Zeit, zieht den Bogen zu Populismus, Klimawandel, Fluchtmigration, Kriegen, Chancenungleichheit, TikTok, ….
Etwas viel? – Allerdings.

Zugleich informierte die Vorankündigung, Anlass für das Stück seien u.a. die jüngsten Ergebnisse unter Erstwählenden sowie die rassistischen Vorfälle an einer Schule bei Cottbus.
Schwupp: Erwartungsdoppelfalle.
In der saß ich offenbar nicht allein, sondern auch das Regieteam um Janis Knorr.
Man hatte sich da sehr viel vorgenommen.

Ja, klar, der Ausgangsstoff weist Bezüge, wie die oben genannten, auf. Besonders in der Ausgangssituation.
Im Roman bemerkt der Lehrer rassistisch, abwertende Aussagen im Aufsatz eines Schülers.
In Burg war es krasser. Die Lehrerin Laura Nickel und der Lehrer Max Teske sahen sich, nachdem die Schulleitung untätig geblieben war, veranlasst, einen Brandbrief an den Brandenburgischen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke zu schreiben. In diesem erklärten sie, dass sie in ihrem Arbeitsalltag an der Schule täglich mit Rechtsextremismus, Sexismus und Homophobie konfrontiert wurden.

Im Roman beschwert sich der Vater des Schülers, doch der Lehrer kann bleiben.
In Burg grüßten Lehrkräfte die beiden nicht mehr, forderten etliche Eltern lautstark die Entlassung der beiden Pädagogen und warfen ihnen politischen Aktivismus und einseitige Ideologie vor. Letztendlich sahen sich die beiden Lehrer gezwungen, die Schule zu verlassen.

Im Roman bleibt der Aufsatz ein Ausgangspunkt, Horváth geht dann in die persönlich, menschliche Ebene über.
Es geht um Ansprüche an sich selbst, um Zwänge aus der Gesellschaft, um eine Auseinandersetzung mit der Kirche. Und es wird kriminalistisch mit voyeuristischen Zügen.
Zu Beginn der Cottbuser Inszenierung scheint es zu gelingen, die vielen eingangs genannten, aktuellen Ebenen mit dem Stoff des Buches zu verbinden. Auch die äußere (sehr gelungene) Darstellung der Schülerinnen und Schüler – in einer Kombination aus Wednesday Addams und HJ – entspricht diesem Anliegen. Ebenso die Bühne mit (russischem?) Birkenwäldchen und Gebirgsromantik.

Auch tönen aus beidseitig die Bühne flankierenden Propagandalautsprechern gelegentlich Parolen von damals und heute – doch irgendwie reißt dieser Faden dann ab, funktionieren die Bezüge nicht mehr. Ebensowenig, wie meine Erwartungen. Und wohl auch Janis Knorr emanzipiert sich aus den vorherigen Ansprüchen – was der Inszenierung sehr gut tut.

Denn was sich bereits andeutete, eine hervorragende Zeichnung der Figuren mit absolut erlebenswerten, schauspielerischen Leistungen, rückt endlich in den Vordergrund.
Stück und Ensemble können sich auf die Personen und deren Entwicklung konzentrieren.
Aufregende Entdeckungen bieten sich in den Verwandlungsfähigkeiten von Lucie Thiede und Ali Berber. Wir empfinden fast körperlich die zunehmende Zerrissenheit, der Ariadne Pabst Ausdruck verleiht. Wir werden hineingezogen in Abgründe und Zweifel, wollen daran glauben, dass auch Liebe und Hoffnung eine Chance erhalten, stehen zunehmend selbst unter Spannung, wie das Geschehen auf der Bühne.

Und das ist es, was diese Inszenierung empfehlenswert macht.
Anschauen!

Jens Pittasch

Informationen und Karten

Fotos: Bernd Schönberger

X
X
X